Dafür, dass ich schon immer eine immense Freude am Kleiden, am Ausleben meiner Stimmung, meiner täglichen Portion Persönlichkeit durch verschiedenster Stoffe, Farben, Muster und Schnitte hatte, habe ich erst spät bemerkt, dass man dies auch mit dem wichtigsten Element der offensichtlichen Identität, dem Gesicht, vollziehen kann.
Ich war mir immer bewusst, dass ich nie als Schönheit gelten würde. Immer größer als die anderen. Immer im Kopf der coole androgyne Rockstar gefangen im rasant zum überfemininen heranwachsenden Körper, der nicht in meine Pubertät passte. Nicht zu meiner Befremdlichkeit. Nicht zu meiner absoluten Überforderung. Während alle von Glitzervampiren träumten, hörte ich Joy Division und zählte die Tage bis ich mit 27 Jahren endlich glorreich abtreten könnte.
Da war für mich, aber besonders meiner Umwelt bewusst, dass ich niemals einem Ideal entsprechen würde, es aber auch nicht bräuchte.
Die Luxusposition der Quotenexzentrikerin, die sowieso alles anders macht. Freiheit, aber auch komplette Asexualität aus dem Blickwinkel der ominösen Spezies des Interesses: Männliche Wesen.
Um mich herum wurde sich zurecht gemacht, immer mit dem präferierten Geschlecht im Hinterkopf. Ich wollte lieber Ausschlafen und hatte eh komische Rötungen im Gesicht, die nur durch Kosmetik verschlimmbessert werden würden. Außerdem war ich stolz, nichts zu verstecken, denn das bedeutete für mich, dass, wenn sich jemand in mich verlieben würde, meine Chancen auf wahre Liebe größer sind, denn da konnte ja niemand von einem äußerlichen Schein verzaubert worden sein.
Da investierte ich lieber Zeit und Leidenschaft beim Bemalen von Chucks, Notizbüchern und anderen Gegenständen, die sagten, dass mir Filme und Musik furchtbar wichtig sind und ich ein ganz tiefsinniger Mensch bin. Der wie alle anderen Weiber natürlich auch ständig zu zweit gackernd herumlungerte, um Jungs zu inspizieren.
Und dann begann das spannende Auswerten in der Klasse.
Die Mädchen, die sehr stark geschminkt und sich ihrer Reize bereits sehr bewusst waren, galten als eingebildet und oberflächlich. Die Jungs begegneten der Kategorie mit überspielter Überforderung, immer mit einem Witz über ihre Intelligenz oder ihr Selbstbewusstsein, wenn sie sich im Spiegel betrachteten, auf den Lippen.
Auf dem anderen Ende der Skala fanden sich die Fußballerinnen, die Streber, die sich selbst als anti-pink, als nicht typisch weiblich bezeichneten und von den Jungs gerne ausgetestet wurden. Es wurde sehr gern das Wort „Mannsweib“ an den Kopf geworfen, aber dafür konnten die Herren sich nie sicher sein, ob sie dafür neben einer entsprechenden Antwort auch noch einen Arschtritt erhielten.
Und dann gab es die goldene Mitte, zu der nur wenige heilige Geschöpfe zählten. Allseits beliebt, galten sie als die natürlichen Schönheiten. Dezent mit Mascara wurden die Augen betont, das wallende goldene Haar dazu in den Wind gehalten und alle waren verzaubert. Und sind es wahrscheinlich heute noch.
Ich wechselte die Schule und wurde nagellacksüchtig. Angefangen als Bekämpfung von Langeweile einer Klassenkameradin, trage ich seit meinem 16. Lebensjahr durchgängig Farbe auf meinen Nägeln. Es ist irgendwie ein Teil von mir.
Und ich begann in der Zeit auch meinen Pony zu entdecken. Angefangen als hübscher Versuch bei meiner mündlichen Prüfung, in der ich über Filme von Quentin Tarantino philosophierte, mich dem Thema optisch mit dem Kleidungsstil und dem Bob einer Mia Wallace anzunähern, entdeckte ich die Superkraft von Kosmetik und Kleidung vereint. Mein Schutzschild.
Wie daraus ein Experiment wurde und was meine Ergebnisse so über die Welt aussagen, erfahrt ihr nächste Woche …
3 comments
Eins der wenigen Male wo ich Nagellack trug, war, als ich an Silvester betrunken war und die vier kleinen Nagellackfläschen aus deinem Weihnachtspaket nicht wegwerfen wollte. Ansonsten, joa. Bin ich wohl nach wie vor die anti-pink-Fraktion. Wobei pink auf schwarzem Shirt echt super wirkt!
Hey, schöööööön, siehst du, die waren da nicht umsonst drin. Du solltest diesen Moment im Leben haben. Ich bin auch kein Pinkfreund. Außer „Pretty in Pink“. <3
IIch erkenne mich in den anti-pinken Menschen, die du beschreibst, irgendwie wieder :D. Obwohl es nicht so ist, dass ich konkret versuchen würde „unweiblich“ zu sein. Ich trage einfach nur, womit ich mich wohlfühle.
Auf Make-up verzichte ich z.B. auch deswegen, weil ich gemerkt habe, dass meine Akne dadurch nur schlimmer wird. Die Theorie mit der Liebe finde ich aber auch gut ;).
Obwohl ich selbst kein Fan von Make-up bin, finde ich es auch spannend, wie man sich ähnlich wie mit Mode damit ausdrücken kann.
Viele Grüße!
Charlie
PS: Ist es Absicht, dass man bei deiner Beschreibung von dir selbst (aus Berlin) die ganze Zeit einen Ärzte-Song im Kopf hat :D?