Ich weiß, dass viele Menschen sich in ihren Frisuren ausdrücken, auffallen, inszenieren oder gar provozieren wollen. Schrill buntes Haar ist ein Hingucker, sanfte Hollywoodwellen erfüllen den Wunsch nach Glamour und Luxus, ein fetziger Kurzhaarschnitt oder eine Rasur geben der Trägerin die Chance, mit einer wohldosierten Form von Männlichkeit und Jugendlichkeit zu spielen. Man sagt, blond mache kindlicher und sanfter, bedürftiger. Rot sei feurig und temperamentvoll, schwarz rassig und mysteriös. Haarfarben und Formen bergen Nahrung für Vorurteile und Klischees, die man durchaus auch nutzen kann, wenn man möchte und sich traut.
Ich – und jetzt wird’s langweilig – war nie so. Nie so experimentierfreudig und selten so mutig. Einmal, nur ein einziges Mal, habe ich meine Haare radikal abschneiden lassen, und musste dazu die Friseurin mit viel Mühe überreden. Aus Gründen, die klassischer nicht sein konnten: Ich hatte eine Trennung hinter mir und wollte der Welt und auch dem Ex signalisieren: Mein Leben geht weiter, ja, es ist jetzt sogar besser, optimierter, attraktiver und vor allem: NEU.
Natürlich war das nicht auf Dauer meins. Ich bin vor allem Pragmatiker, und kurze Haare sind einfach zu zeitaufwändig. Ständig frisieren und nachschneiden zu müssen, wäre mir ein Graus. So gut das aussehen kann (und ich gebe zu, ich habe schon mit dem Gedanken gespielt, einfach mal den Rasierer anzusetzen und zzzzt), immer dran rum zu zupfen und zu stylen, das ist einfach nichts für mich.
Ich hätte auch sehr gern rotes Haar – noch röter als ich es mit meinem leichten Einschlag eh schon habe. Meine Idealvorstellung ist Karottenrot, doch dazu müsste ich sie erst bleichen lassen und dann färben. Und dann immer nachfärben, um den Ansatz zu kaschieren. Hm … nö. Viel zu unpraktisch. Irgendwie ist mein Wunsch nach einer anderen Farbe dann doch nicht ausgeprägt genug.
Okay, also, ich frisiere nicht gern, forme nicht gern und färbe nicht gern. Das heißt nicht, dass ich meinen Haaren so gar nichts abgewinnen kann. Sie haben inzwischen eine stattliche Länge entwickelt und die Hüfthöhe hinter sich gelassen, und mir ist bewusst, dass dieser Umstand und auch meine gänzlich unmanipulierte Naturhaarfarbe an sich ganz nett anzusehen sind. Gerade, weil man beides heutzutage immer seltener sieht.
Nur … ich trage sie fast nicht offen. Sie sind einfach SO nervtötend, wenn sie überall reinhängen und sich verwirren; oder wenn der Wind durchgeht und sie in alle Richtungen bläst, oder sie sich elektrisch aufladen und knisternd ans Gesicht kleben … Argh, just argh.
Denn leider fallen sie nicht so edel-seidig wie in der Drei-Wetter-Taft-Werbung oder bleiben in perfekten Hollywoodwellen liegen – zumindest bei mir nicht.
Daher habe ich inzwischen eine Alltagsfrisur. Und damit meine ich tatsächlich ALLtagsfrisur. Jeden Tag verpacke ich mein Haar in einem Dutt auf dem Hinterkopf, der von einem einzigen Haarstab gehalten wird und den hübschen Namen Nautilus trägt. Es geht schnell, kaum zehn Sekunden, und hält den ganzen Tag, selbst beim Sport. Man mag Dutts gegenüber empfinden, was man möchte, ich mag ihn. Er wirkt aufgeräumt und unaufgeregt, und er ist eben wahnsinnig praktisch. In meinem Beruf arbeite ich teilweise auch mit gefährlichen, ätzenden Stoffen und manchmal auch offener Flamme, und ins Gesicht oder gar auf die Arbeitsfläche fallende Haare sind ein No-go.
Auf die durchaus berechtigte Frage, warum ich so lange Haare habe, wenn ich sie 99% der Zeit auf engstem Raum komprimiere, muss ich antworten: Damit der Haarstab besser hält.
Und weil ich einfach nicht daran denke, sie mal schneiden zu lassen.
Eine kleine Leidenschaft habe ich dann aber doch bei diesem Thema: Haarschmuck. Vor allem Haarstäbe oder zwei- oder mehrzinkige Forken. Es gibt so schöne Kunstwerke in Holz, (Edel)Steinen und (Edel)Metall, Horn und sogar Knochen. Meine Sammlung umfasst inzwischen ca. 35 bis 40 Exemplare, teilweise Urlaubsmitbringsel, und ich suche immer noch nach Neuem. Ich habe Haarstäbe, die eigentlich Essstäbchen sein sollten und wie Star Wars-Laserschwerter aussehen, oder filigrane Silberblüten für spezielle Anlässe. Einen ehemaligen Brieföffner in Degenform. Ich habe den Facehugger aus ALIEN und geschnitzte Holzstäbe, die wie gewendelte DNA aussehen. Und ich verbinde mit einigen Stücken viel. Gerne denke ich an die junge Frau auf der Karlsbrücke in Prag, von der ich zwei hübsche Holzstäbe habe – und mich noch heute ärgere, wieso ich ihr nicht doch den ganzen Stand leergekauft habe. Eine andere Forke war ein Geschenk, eigens für mich designt, geschmiedet und graviert.
Da, wo es meiner Frisur selbst zugegebenermaßen an Kreativität mangelt, nutze ich Farben, Formen und Materialien des Haarschmucks aus, um mein Outfit zu komplettieren, meiner Stimmung Ausdruck zu verleihen oder dem Anlass Rechnung zu tragen. Da ich sonst keinerlei Schmuck trage, sind gerade aufwändigere Haarstäbe eine Art, diese Lücke zu füllen.
2 comments
Ich finde kunstvolle Dutts wunderschön, auch wenn meine superschweren Haare nur in langweiligen Standard-Versionen halten wollen. Und beneide dich definitv dafür, dass du die gar mit wunderschönen Haarstäben hinkriegst.
Liebe Nicoletta, ich beneide dich um superschweres Haar, das klingt nach einer echten Haarpracht und liegt sicher superschön. Meine sind so fein, dass jeder Windstoß sie zerzaust, und so flutschig, dass ich manchmal wirklich Mühe habe, einen Stab langfristig zum Halten zu bekommen.
Und von wegen langweilige Standard-Version: Ich kann ja auch nur den Nautilus wirklich gut. Die beiden so hübsch eingeflochtenen Dutts sind vom Friseur 😉