In den Jahren, wo Präsentationen und Klausuren der nachhaltigen Schwere einer Naturkatastrophe gleichen und es ein Weltuntergang ist, wenn man sich mit der besten Freundin streitet, entdeckte ich als jemand, der stattdessen lieber Familienkonflikte löste oder von Methylphenidat (Medikinet® zur Anwendung von Aufmerksamkeits-Defizit-(Hyperaktivitäts)-Störung bei Kindern ab 6 Jahren und Jugendlichen) ausgelöst, depressiv und appetitlos von Schule zu Therapeutin zu Mathematiknachhilfe zu Therapeutin wanderte und dabei meine Daseinsberechtigung anzweifelte, die Möglichkeiten der Gesichtsmalerei.
Man braucht manchmal ein Schutzschild, wenn der Alltag bewältigt werden soll. Und man ist ja schließlich immer noch Pubertistin! Hinter jeder Ecke könnte ein süßer Junge stehen, den man angucken kann, um dann 20 Minuten später das Spektakel en détail Revue passieren zu lassen, während jemand mit hoffnungsvollen Augen gebannt zuhört.
Nachdem ich aus musikalischen Gründen die ersten Jahre zwischen den ernstzunehmenden Wurzeln der Emosubkultur und den The-Bands des neuen Jahrtausends dahin adoleszierte, immer mit meinem sehnsüchtigen Blick nach England, wo alle in bunten engen Jeans den Nu Rave beschwörten und natürlich alle wie The Horrors aussahen, begann ich mich, mehr mit als mir als weibliches Wesen zu beschäftigen.
Die Phase des unförmigen Zahnspangengesichts war vorbei und ich bemerkte, dass die Welt komplett anders aussah, wenn ich mich für das Tragen eines Rockes oder Kleides entschied.
Ich hatte auf einmal weibliche Reize und war nun öffentliches Diskursthema. Verwandtinnen beginnen, dich zu umarmen, um danach fachmännisch zu urteilen, dass da ja schon weniger an deinem Skelett hängen könnte, Mitschülerinnen ziehen dich in die Ecke des Schulhofs, um dir einfühlsam zu vermitteln, dass die Ära der Unterhemden und Bustiers vorbei ist und ich nur durch den Erwerb eines BHs zur vollwertigen Frau werden kann.
Warum also nicht das Experiment wagen, sein eigenes Frauenbild optisch so auszuleben, dass man dem ganzen Mist mit Kettensäge jederzeit adäquat begegnen kann? Make-Up als Kriegsbemalung.
Ich will keinem derzeitigen Trend entsprechen, nicht schön sein. Ich möchte Statements setzen.
So hat sich meine alltägliche Schminkbasis nie verändert: Eyeliner, Mascara und getönte Lippenpflege.
Keine erlernte Technik, keine Tutorials, einfach machen.
Die Entdeckungsreise von Uma Thurman als Mia Wallace zu Bettie Page zu Audrey Hepburn zu Audrey Horne zu Edie Sedgwick zu Siouxsie Sioux zu Gwen Stefani und zurück, lässt mich bis heute zum selben Ergebnis kommen:
Nichts ist so zeitlos und lässt einen zugleich gefährlich und unschuldig wirken, wie ein Lidstrich bis zum Mond und rote Lippen.
Zugleich bieder und konservativ, aber auch verrucht und düster. Das Make-Up hilft dir in deine Attitüde und diese ändert die Wahrnehmung deiner Person. Bist du nervös vor einem Bewerbungsgespräch, strahlt das Make-Up für dich Selbstbewusstsein aus. Fühlst du dich unwohl auf einer Festivität, strahlt das Make-Up für dich aus, dass du der ganze Stolz der Eltern bist und keinerlei Dummheiten machst.
Kriegsbemalung.
Und alles andere ist nur eine Frage des richtigen Filters.
#neuesProfilbild #happiness #newlife #nudelook
Wie schaffe ich es, mein Gesicht und meinen Körper am massenkompatibelsten der Welt da draußen darzubieten. Anerkennung der Masse, um das Konstrukt des Selbst bestätigt zu sehen.
Ob aus Verunsicherung oder anderen Beweggründen. Niemand ist wohl gänzlich davon befreit in der heutigen Zeit. Macht, was euch glücklich macht, aber bitte kauft doch wenigstens eure Produkte tierleidsfrei.
#veganMoralapostelhasleftthebuilding
2 comments
Ich habe mich zweimal in meinem Leben geschminkt bzw. schminken lassen (ich kann es immer noch nicht) und Halleluja ist die Welt abgegangen. Dabei war es gerade mal Lidstrich und Lippenstift. Interessante Erfahrung, aber auch wieder ein Zeichen dafür, wie oberflächlich die Welt ist. Vorher ignorieren sich dich und treten einen mit Füßen und sobald man sich etwas in Gesicht klatscht will jeder mit dir befreundet sein… Sich selbst zu entdecken ist toll, damit rauszugehen allerdings weniger. Übrigens liebe ich deine Perücke, steht dir 😉
Ahaha danke! Ja, der Aspekt macht doch aber die ganze Sache spannend. Dass du dann durch dein Äußeres eine gewisse Macht über dein Umfeld spürst.