2016 entschloss sich Seth MacFarlane, eine Serie zu produzieren, die von den Abenteuern einer speziesmäßig bunt gemischten Raumschiffcrew, von diplomatischen Zwischenfällen auf fremden Planeten und den großen und kleinen Problemen im alltäglichen Miteinander an Bord handelt. Nicht nur eingefleischten Star Trek-Fans war die Parallele zu ihrem Fandom offensichtlich.
Doch was taugt The Orville im direkten Vergleich zu den Star Trek-Serien, mit denen sie sich zwangsläufig vergleichen lassen muss? Wie schlägt sich Ed Mercer gegenüber einem Picard oder Sisko? Was macht eine Serie von 2017 anders als eine, die bereits vor zwanzig Jahren ausgestrahlt wurde? Und ist The Orville nun eine Parodie über oder eine Hommage an das gute alte, aber vielleicht auch inzwischen eingestaubte Gene Roddenberry-versum?
Zwei Trekkies der ersten Stunde beschreiben ihre Eindrücke.
Die Vorgeschichte
(Jes) Es bestand eigentlich nie ein Zweifel daran, dass ich einmal Fan von Star Trek werden würde. Meine Eltern waren begeisterte Zuschauer, und als Anfang der Neunziger TNG startete, war ich genau im richtigen Alter, um mit ihnen zusammen die Abenteuer von Captain Picard und seiner Crew zu genießen. Richtig gefunkt hat es bei mir aber erst mit Deep Space Nine, und das ausgerechnet aus den Gründen, aus denen viele Fans diesen Ableger ablehnen: der Fokus auf religiöse Themen, die Graustufen bei den Figuren, der Krieg. Nicht zuletzt brachte mich die Serie aber auch auf den Geschmack, was großangelegte Handlungsbögen betrifft. Von The Orville hörte ich hingegen erst wenige Tage vor der US-Ausstrahlung zum ersten Mal, was zugegeben daran liegen mag, dass ich zu diesem Zeitpunkt ausschließlich Discovery im Kopf hatte. Es war übrigens ziemlich spannend, die beiden Serien parallel zu schauen.
(Helen) Meine erste Berührung mit Star Trek hatte ich zum Zeitpunkt der deutschen Erstausstrahlung, also Anfang der Neunziger; damals war ich zehn und Star Trek – The Next Generation schlug bei mir ein wie eine Bombe. Die Geschichte um Captain Picard und sein Team in den Weiten des Weltalls war voll jener Dinge, von denen ich damals noch nicht wusste, dass sie bis heute meine Vorlieben sein würden: Ein bisschen Fantasy, ein bisschen Sci Fi, ganz viel Herz und Humor und eine große Portion Weisheit und Moral. Ich finde, jedes Kind sollte mit Next Gen aufwachsen, denn mich hat es vieles über Richtig und Falsch gelehrt, und wie schwer es manchmal ist, seinen Prinzipien treu zu bleiben. Das Konzept von The Orville hat mich sofort für sich eingenommen, denn es hat mich an meine ersten Fanfictions erinnert, die ich zu Star Trek geschrieben habe, viele Jahre, bevor ich überhaupt wusste, was Fanfictions sind. Schon damals fand ich es reizvoll, die manchmal recht steife Aufmachung von Picard und Co. zu durchbrechen und mir verrückte Szenen auszudenken, wie zum Beispiel Worf, der auf die Anordnung „Auf den Schirm“ einen Regenschirm aufspannt. (Hey, ich war ein Früh-Teenager, seht es mir nach … 😉) The Orville passte da genau rein, mein Interesse war geweckt.
Welche Stärken hat Star Trek?
(Jes) Star Trek ist eine Institution und bis heute geradezu ein Synonym für Science-Fiction. In einer Zeit, in der im Kino Invasionen und gefährliche Aliens dominierten, stand Star Trek für einen humanistischen Ansatz, für die Hoffnung auf eine blühende Zukunft und ein friedliches Miteinander. Zwar gab es auch hier den gelegentlichen Bösewicht oder das Monster-of-the-Week, doch wurden Konflikte meist auf diplomatischem Wege gelöst, und nicht wenige Folgen widmeten sich ausschließlich der Erforschung fremder Planeten und Kulturen – etwas, was heute Seltenheitswert in der Science-Fiction besitzt. Gerade in den prägenden Jahren meiner Kindheit war Star Trek damit ein wichtiger Einfluss, der mein Weltbild geformt hat.
(Helen) Next Gen punktet vordergründig mit einer liebenswerten, diversen Crew und cleveren Plots, einer tollen Mischung aus Episoden zum Nachdenken, Lachen, Schlucken, Staunen. Es hat ikonische Sätze geprägt wie „Machen Sie’s so“ und „Da sind vier Lichter!“, und wer kennt nicht den Lebensformen-Song von Data? Überhaupt: Data! Eine Maschine mit Gefühlen, ein Pinocchio, der ein richtiger Junge sein will. Er reflektiert unsere Menschlichkeit und stellt sie infrage – ein Geniestreich der Macher. Für mich ist die aber größte Stärke von Next Gen, dass sie uns zeigt, was moralisch richtig ist. Das faszinierendste Konzept für mich ist die Oberste Direktive, das strikte Nichteinmischen in die Entwicklung von fremden Zivilisationen, selbst wenn das bedeutet, dass dort Unrecht geduldet werden muss. Auf der anderen Seite wird energisch z.B. für Datas Recht auf Leben und Selbstbestimmung gekämpft. Es sind gute Themen, mit denen man sich beschäftigen sollte, wie ich finde.
Welche Stärken hat The Orville?
(Jes) Interessanterweise bildet The Orville heute einen ähnlichen Gegensatz zu den vorherrschenden Themen im Genre wie einst Star Trek. Und so sehr ich meine düstere, militarisierte Science-Fiction mit Antihelden auch liebe, The Orville liefert einen erfrischend leichtgewichtigen Ansatz. Streckenweise fühlt sich die Serie sogar mehr nach Star Trek an als das Star Trek der letzten zehn Jahre, während es gleichzeitig einen neuen Blickwinkel eröffnet. In meiner Vorstellung ist die Serie jedenfalls bereits Teil des Kanons: Während Star Trek die Abenteuer solcher Prestige-Schiffe wie der Enterprise verfolgt, zeigt uns The Orville eben die Leute, die die langweilige und unglamouröse Arbeit erledigen müssen.
(Helen) Die Serie ist, gerade in der heutigen Zeit, erfreulich unbeschwert. Sie behandelt auch schwierige Themen wie Angstbewältigung oder öffentliche Stigmatisierung, aber nicht mit dem düster-drohenden Tenor, den sich viele andere Serien angeeignet haben. Niemand behält ein lang schwärendes Trauma zurück. The Orville macht einfach Spaß, und sie tut etwas, das ich ihr hoch anrechne: Sie legt einen liebevoll ostentativen Finger auf einige Logiklücken und Selbstverständlichkeiten der ernsthafteren Serien. Wenn der Captain einen Kanal zum feindlichen Schiff öffnen will, passiert das nicht augenblicklich. Tasten müssen gedrückt werden, das dauert nun mal. The Orville zeigt das und dazu den irritierten Blick besagten Captains, wenn er eben doch mal zwei Sekunden warten muss.
Welche Schwächen hat Star Trek?
(Jes) Im selben Maße, in dem Star Trek Frieden und Toleranz propagiert, ist es auch eine Utopie in Reinform. Und was mich als Kind ansprach, sehe ich heute als größte Schwäche: Star Trek verkörpert ein unerreichbares Ideal. Es ist sicher kein Zufall, dass ich als Teenager wesentlich mehr mit den gebrochenen Figuren von DS9 anfangen konnte, denn in ihnen erkannte ich mich wieder. Aus heutiger Sicht offenbart insbesondere TNG seine erzählerischen Schwächen, denn mit seinen in jeder Hinsicht perfekten Figuren blieb wenig Raum für Entwicklung. Alle waren stets so furchtbar nett und verständnisvoll, und benahm sich wirklich mal einer daneben, konnte man sicher sein, dass irgendein außerirdischer Parasit dahintersteckt.
(Helen) Wesley Crusher. Kleiner Scherz, obwohl der schon irgendwie nervig war. Natürlich gab es auch bei Next Gen Gurkenepisoden und schlicht schlechtes Schauspiel. Doch auch wenn viele den ständig erhobenen Zeigefinger an Next Gen nicht mögen, kann ich ihn rein subjektiv nicht zu den Schwächen zählen. Ja, ich mochte sogar alle Kinofilme sehr, ich bin einfach zu sehr Fan, fürchte ich.
Welche Schwächen hat The Orville?
(Jes) Man merkt der Serie leider allzu deutlich an, aus welcher Ecke Seth MacFarlane kommt, denn zuweilen driftet sie dann doch sehr in den pubertären Fäkalhumor ab. Wer das mag, kommt hier gewiss auf seine Kosten, ich für meinen Teil fand es traurig, wie viele extrem gut erzählte Folgen dadurch unnötig runtergezogen wurden.
(Helen) Eigentlich unglaublich, dass The Orville und Next Gen in etwa gleich lange Folgen haben. Mir kommt es vor, als wären die Geschichten, die in je knapp 45 Minuten gepresst werden mussten, bei Next Gen sehr viel ausgefeilter und vor allem, vollständiger. Am Ende einer Orville-Folge bleiben teilweise viele Fragen offen, nicht selten stellt sich ein Gefühl von „Ja, und jetzt?“ ein. Etwas, das ich bei Star Trek nie hatte. Gutes „Pacing“ ist eben doch eine Kunst, und The Orville muss da manchmal noch etwas üben.
Wie stehen Star Trek und The Orville zueinander?
(Jes) Für mich war The Orville vor allem deshalb so eine Überraschung, weil die Serie meinem Empfinden nach völlig falsch beworben wurde. Vor dem Start hieß es nur überall, es handele sich dabei um eine Parodie auf Star Trek, was aber eindeutig zu kurz gegriffen ist. Man sollte wissen, dass MacFarlane riesiger Star Trek-Fan ist, um zu verstehen, was er hier versucht hat, und wieso einzelne Elemente der Serie so sind, wie sie sind. Seine Absicht war nie, die große Schwester zu parodieren, er wollte stattdessen das Star Trek seiner Jugend wiederaufleben lassen. Und vielleicht auch beweisen, dass das Konzept immer noch funktioniert, selbst wenn sich das echte Star Trek das schon lange nicht mehr traut.
(Helen) Ohne Frage ist Star Trek das unverhohlene Vorbild von The Orville, und ich denke, letztere treten mit viel Liebe in diese großen Fußstapfen. In vielerlei Hinsicht relativieren sie althergebrachte Klischees, spielen mit den oft verkrusteten Ansichten einiger langjähriger Trekkies, wie die weit entfernte Zukunft sein sollte. Sie zeigen sie menschlicher, weniger steif, weniger vorbildlich, manchmal auch etwas zu kumpelhaft für meinen persönlichen Geschmack. Eine reine Parodie ist The Orville trotzdem nicht, finde ich. Dafür versuchen sie sich zu deutlich zu emanzipieren und einen eigenen Ton anzuschlagen. Sie sind, sozusagen, der renitente kleine Klugscheißer-Bruder des ikonischen, zum Glück nur beinahe unantastbaren Vorbildes.
Star Trek, The Orville und die „Vision“ für die Menschheit?
(Jes) Die Science-Fiction unserer Zeit ist geprägt von Dystopien. Wir scheinen verlernt zu haben, hoffnungsvoll in die Zukunft zu blicken und an die Menschheit zu glauben, stattdessen treiben wir all die schlechten Entwicklungen gedanklich auf die Spitze. Kulturpessimismus ist in, und ich bin dessen genauso schuldig, zählen zu meinen Lieblingsserien doch so nette Shows wie Battlestar Galactica, Westworld oder auch The Expanse. Ein Ausgleich ist also dringend nötig, deshalb ist es gut, dass es Serien wie The Orville gibt, die zeigen, dass auch alles gut gehen könnte. Dass wir irgendwann das All bereisen und nicht gleich jede andere Spezies in einen Krieg verwickeln.
(Helen) Beides sind Utopien. Ich glaube nicht, dass die Menschheit je über den Punkt hinauswachsen kann, Zwiste gewaltsam zu lösen. Wir haben das in den letzten zehntausend Jahren nicht geschafft und werden es auch in den nächsten nicht. Einzelne Individuen schon, keine Frage, aber nicht die gesamte Menschheit, und daran wird auch kein Nahrungs-Replikator oder die Abschaffung von Geldsystemen etwas ändern. Aber es tut gut, sich anzusehen, was wäre, wenn wir unser Hauptaugenmerk auf die Erforschung neuer Welten legten, mit einem offenen, toleranten Geist und voller Neugier und Staunen, ohne Eigennutz und Misstrauen allem Fremden gegenüber. Ein Gedanke, der gerade heute inspirieren sollte.