The strength to stand alone, Aloy, is the strength to make a stand. To serve a purpose greater than yourself. That is the lesson you must learn. (Rost)
Das 2017 erschienene Spiel Horizon Zero Dawn des niederländischen Entwicklers Guerilla Games ist die Geschichte eines jungen Mädchens, Aloy, und seiner Reise zu den eigenen Wurzeln.
Und noch SO viel mehr.
Worum geht es?
Wir treffen Aloy das erste Mal als Säugling auf dem Gipfel eines Berges, wo drei altehrwürdige Frauen, Matriarchinnen ihres Stammes, sie in die Arme eines ausgestoßenen Kriegers legen. Er soll sie erziehen, denn sie werden es nicht. Die Frauen haben unterschiedliche Beweggründe für ihre Tat: Tradition, Angst, sogar Hass dem Neugeborenen gegenüber. Denn Aloy ist anders, und ihre Geburt läutet eine fundamentale Veränderung für die gesamte sie umgebende Welt ein.
Letztere lernen wir zuerst als eine idyllische kennen: Ein naturverbundenes Volk, die Nora, die irgendwo zwischen amerikanischen Ureinwohnern und Menschen der Bronzezeit rangieren, bewohnt kleine Dörfer in einem fruchtbaren Tal, betet zu Naturgöttern und jagt mit Speeren und Pfeil und Bogen. Es ist eine Bilderbuchkulisse, doch gleich zu Beginn fällt die Jagdbeute auf, denn sie ist reichlich ungewöhnlich. Sie besteht aus Maschinen, gigantischen Roboterwesen, die entfernt an Büffel, Widder, Krebse oder sogar Brachiosaurier erinnern; sie durchstreifen das Tal in Gruppen, ihren eigenen, unverständlichen Patrouillenroutinen folgend. Die Nora verarbeiten die erjagten Metallstücke zu Speer- und Pfeilspitzen, sie hängen sich bunte Hydraulikschläuche um den Hals und bauen sich aus formschönen Hüllenteilen aufwändigen Kopfschmuck.
Einige Jahre nach der ersten Begegnung auf dem Gipfel treffen wir die kleine Aloy wieder, die nun dem Krieger, Rost, an den Fersen hängt und alles über die Maschinenjagd und das Klettern lernen möchte. Von ihrem Stamm wird sie nach wie vor als Ausgestoßene behandelt, niemand darf mir ihr sprechen oder sie auch nur ansehen. Selbst Rost hüllt sich in Schweigen, wenn sie die Sprache auf die Umstände ihrer Geburt bringt. Was ist mit ihrer Mutter, dass niemand darüber reden will? Wer war sie? Und zu was macht das Aloy selbst? Eine Frage, die für sie in zunehmenden Maße zur Obsession wird.
Auf einem ihrer Streifzüge fällt Aloy in eine Felsspalte … und landet nicht auf Stein, sondern kaltem Stahl. Sie weiß sofort, wo sie sich befindet: In der „Metallwelt“, den Überresten einer seit tausend Jahren vergangenen Zivilisation. Den Nora ist diese Welt bekannt, stammen doch auch die Maschinenwesen aus ihr, doch sie zu betreten ist verboten. Eine weitere Sache, über die der Mantel des Schweigens gebreitet wird.
Für Aloys Augen, die auf der Suche nach einem Ausgang durch die unterirdische Anlage streift, ist alles fremdartig und unheimlich, doch der Spieler erkennt augenblicklich schwach glimmende Monitore, Notstromgeneratoren, elektrische Türen, alles halb begraben unter Stalagmiten und hunderte Jahre altem Geröll. Es ist diese Diskrepanz aus offensichtlichem High-Tech und der Anmutung einer archäologischen Stätte, die gleich zu Beginn des Spiels beeindruckende, atmosphärische Bilder liefert.
Auf ihrer Suche findet Aloy schließlich ein kleines Gerät, einen dreieckigen „Fokus“, der sich auch sofort an ihre Schläfe heften lässt. Ab diesem Moment eröffnet sich für Aloy eine neue Welt, denn wie eine „Augmented Reality“-Brille zeigt ihr der Fokus den Verlauf von Stromleitungen, ruft kontextbasierte Erklärungen auf und lässt sie auf kleine Datenpakete zugreifen, die sie findet. Diese Datenpakete, Texte, Soundfiles und Hologramme, erzählen die zweite Geschichte von Horizon Zero Dawn, und für mich sind sie der eigentliche Star des Spiels.
Denn Aloy findet diese Daten bei ihrer ersten Wanderung durch das unterirdische Labyrinth zwischen menschlichen Leichen. Diese sind im Laufe der langen Zeit halb verwest, halb mumifiziert, doch es wird deutlich, dass sie nicht gewaltsam gestorben sind. Aloy lauscht den letzten Aufzeichnungen einer Gruppe, die gemeinschaftlich und im Vollbesitz ihrer geistigen Kräfte Selbstmord begangen hat.
In der düsteren, halb verfallenen Umgebung hallen die aufgezeichneten, letzten Gedanken der Toten unendlich traurig und einsam nach. Manche nahmen sich in stiller Verzweiflung, andere mit Spott und Hohn, wieder andere voller Wut und Trotz das Leben. Doch was trieb die Menschen dazu? Was kann nur geschehen sein, das jegliche Hoffnung in ihnen so endgültig zerstört hat? Die Frage lässt nicht nur Aloy nicht mehr los.
Im Laufe des Spiels deckt sie, nur durch das Finden von Tonaufzeichnungen und Texten, nach und nach auf, was vor tausend Jahren mit dieser technisch hochentwickelten Zivilisation geschehen ist. Es ist eine gewaltige Erkenntnis, die sie – und den Spieler – ereilt, vermittelt durch die Dokumentation vieler tragischer Einzelschicksale. Eine Ereigniskaskade, ausgelöst durch eine einzige falsche Entscheidung, an deren Ende die totale Vernichtung allen Lebens auf der Erde, der Untergang der „Metallwelt“, stand. Diesem endgültigen Schicksal gegenüber boten die Menschen vereinte Kräfte auf, um zu retten, was zu retten ist.
Doch hatten sie Erfolg?
Das Entwicklerteam von Guerilla Games verwebt diese beiden Geschichten, Aloys Mission, das Rätsel um ihre Mutter zu lösen, und die stückweise erlangte Erkenntnis über das Ende der „Metallwelt“, meisterhaft zu einem Ganzen. Zuerst scheinen sie so gar nichts miteinander zu tun zu haben, doch natürlich steckt auch hier mehr dahinter, und die Wahrheit ist so erschütternd wie bedrohlich aktuell. Wie schnell kann alles vorbei sein, wenn man in unserer hochtechnisierten Welt den falschen Knopf drückt.
Wie ist es?
Horizon Zero Dawn ist ein Geschichtengigant, der durch teilweise sehr sparsame Mittel ein dichtes, komplexes Netz aus zwei eigentlich unabhängigen Storylines schafft. Der Spieler jagt wie Aloy von Erkenntnis zu Erkenntnis, eine tragisch-beeindruckender als die andere. Dabei geht ein wenig das Charakterliche und Zwischenmenschliche unter, denn Aloy ist so fokussiert auf ihr Ziel, dass sie Freundschaften oder auch den Avancen einiger männlicher Charaktere keinerlei weiterführende Beachtung schenkt. Anders als die meisten Rollenspiele kommt Horizon Zero Dawn ganz ohne Love Interest aus, und das kann man gut finden oder auch bedauern. Fehl am Platze ist es sicher nicht, denn Aloy hat tatsächlich einen Haufen anderer Dinge um die Ohren. Doch es trägt eben auch nicht dazu bei, die Nebenfiguren tiefer zu charakterisieren.
Mir persönlich fiel es nicht störend auf. Dafür gingen mir vor allem die herzzerreißenden Berichte über den letzten Kampf der „Metallwelt“ zu nahe. Es bleibt im Kopf, gerade weil es ausschließlich durch Zeitzeugendokumente erzählt wird. Und das ist Horizon am Ende: Eine Geschichte über Menschen, die sich einem unausweichlichen Schicksal entgegenstellen.
Untergehen? Vielleicht. Aber nicht ohne zu kämpfen.