Ich wusste, dass irgendwann der Zeitpunkt kommen würde, dieses gigantische Erlebnis niederzuschreiben. Ich wusste auch, dass das ein schwieriges Unterfangen werden wird. Aber nun wage ich mich an das schriftliche Manifestieren dieser Erfahrung, solange das Erlebte noch in bester Auflösung im Kopf abgespielt wird. Und wenn ich es schon aus meinem Kopf aufs Papier bringe, wieso nicht gleich auf das digitale, für alle auf der Welt lesbare.
Wie alles begann
Ich bin ja Gelegenheitsfilmkuratorin in einem kleinen Kino bei mir um die Ecke. Mit Filmreihen angefangen, darf ich mittlerweile auch das Programmkino mitbestimmen. Ich weiß gar nicht mehr genau, wann das Film Festival zum ersten Mal zur Sprache kam, schätzungsweise in etwa vor einem Jahr. Der Chef des Veranstaltungszentrums kam auf mich zu, mit der Idee ein kleines Filmfestival zu veranstalten, dessen Filme Menschenrechte thematisieren sollen. Das Vorbild, das ihm vorschwebte, war das „This Human World“ Film Festival in Wien, das jedes Jahr im Dezember stattfindet. Ich hatte keine Ahnung, was auf mich zukommen würde, wie ich das eigentlich anstellen sollte, wie ich zu den Filmen komme, aber ich fand die Idee so unglaublich spannend, dass ich es mir auf keinen Fall entgehen lassen wollte, ein Teil dieses völlig neuen Happenings zu werden. Wir trafen uns ein paarmal, um Näheres zu besprechen, als mir klar wurde, dass er mich nicht nur als Kuratorin im Sinn hatte, sondern mir die Festivalleitung übertragen wollte. Weil ich nicht nur keine Zeit dafür hatte, sondern mir auch Aufgaben dieser Art nicht sehr zusagen, wollte ich lieber bei den Filmen bleiben und den Rest jemand anderem überlassen. Kurze Zeit später wurde mir eine Partnerin zur Seite gestellt, die glücklicherweise die Organisation übernahm. So machte ich mich an meine Aufgabe und durchforstete unendlich viele Filmkataloge der unzähligen europäischen Human Rights Film Festivals. Es sollten Filme sein aus möglichst unterschiedlichen Teilen der Welt, mit möglichst verschiedener Thematik, die zudem möglichst aktuell sein sollten. Keine einfache Aufgabe. Eine der Organisatorinnen und Kuratorinnen des „This Human World“ Festivals – Wien kam uns dann im Oktober besuchen und berichtete ausführlich über ihre Erfahrungen als Kuratorin und Organisatorin. Da konnte ich sehr viel für mich mitnehmen und konnte zu diesem Zeitpunkt schon einen kleinen Erfahrungsschatz vorweisen.
Mittendrin
Die Auswahl der Filme wuchs und schrumpfte ständig, wurde geändert und ergänzt. Ich suchte die Filme erst nach Thematik aus, las mir dann anschließend die Kurzbeschreibungen durch. Von den Filmen, die dann im sprichwörtlichen Sieb hängen blieben, sah ich mir in weiterer Folge die Trailer an. Das führte zu einer engeren Auswahl der Filme, die dann natürlich zur Gänze gesichtet werden mussten, um gewissenhaft beurteilen zu können, ob sie dem Publikum auch tatsächlich gefallen werden. Die Zeit drängte, und wir mussten uns letztendlich auf 10 Filme beschränken. Die Filme mussten früh genug geordert werden, um für eventuellen Ersatz noch genügend Zeit zu haben. Alles ging gut. Wir bekamen alle Filme, die wir wollten, zu Konditionen, die wir uns gerade noch leisten konnten. Und auch aus heutiger Sicht bin ich mit der Auswahl der Filme sehr zufrieden.
Wie Wo Wann
Das Festival sollte von Dienstag, 7. März bis Samstag, 11. März stattfinden. Uns standen 2 Kinosäle zur Verfügung. Einer mit 40 Sitzplätzen und einer mit ca. 200. Somit waren 2 Vorstellungen täglich möglich. Am Eröffnungstag haben wir es bei einem Film gelassen, dafür haben wir am letzten Tag zusätzlich ein Filmfrühstück organisiert. Parallel zum Festival fand auch die Anne Frank Ausstellung, vom Anne Frank Haus in Amsterdam statt. Die Aufgabe meiner Partnerin war es, neben der Koordination des Festivals Kooperationspartner passend zu den Filmen und ihrer Thematik zu finden. Diese sollten dann Filmpaten werden, und durften zusammen mit uns das Rahmenprogramm gestalten. Ob das ein Filmgespräch, eine Podiumsdiskussion war oder Improvisationtheater, alles was möglich. Je mehr Vielfalt, desto schöner. Diese Idee ließ sich relativ problemlos umsetzen, und kam schlussendlich auch beim Publikum sehr gut an.
Die Filme
1. A Syrian Love Story
Unser Eröffnungsfilm wurde „A Syrian Love Story“, bei dessen Ausstrahlung zuerst Regisseur Sean McAllister anwesend sein wollte. Leider kam das schlussendlich doch nicht zustande, was sehr schade war. Er hat uns aber dafür unsere Fragen beantwortet, und sie per Videobotschaft übermittelt.
2. Inside the Chinese Closet – Ein Dokumentarfilm über Homosexualität in China
3. When the Earth Seems to Be Light – Ein sehr stimmungsvoller Dokumentarfilm über die Jugend in Georgien
4. Austerlitz – Dokumentarfilm über das Phänomen Konzentrationslager-Tourismus
5. Free Speech Fear Free – Dokumentarfilm zum Menschenrecht Rede- und Meinungsfreiheit
6. Those Who Jump (Les Sauteurs) – Dokumentarfilm über die Menschen, die sich in den Wäldern der spanischen Eklaven verstecken und versuchen, über die Mauer nach Europa zu kommen
7. On Call (La Permanence) – Empathisches Dokumentarkino, das zeigt, dass Menschlichkeit immer an erster Stelle stehen sollte. Über den Erstkontakt der Flüchtlinge in Frankreich
8. Holy Cow – Spielfilm über einen Mann, der eine europäische Kuh kaufen möchte. In ihr sieht er nämlich die große Möglichkeit, seiner Familie ein besseres Leben zu bieten
9. Clash – Spielfilm über Kairo, Juli 2013. Demonstration gegen Präsident Mursi. Polizei und Militär schlagen die ProtestiererInnen gewaltsam nieder und sperren BefürworterInnen und GegnerInnen in einen Polizeitruck
10. Notes on Blindness – Spielfilm auf Basis von Audio-Tagebuchaufzeichnungen des 1983 erblindeten Theologieprofessors und Schriftstellers John Hull
Kurz bevor es losgehen sollte
Die beiden Wochen vor dem Festival nutzen wir, um Werbung zu machen, Leute einzuladen, darüber zu schreiben, was ich dann hier und hier getan habe. Zeitungen kamen, um Interviews zu machen. Wir haben den Ablauf festgelegt und Aufgaben verteilt. Langsam wurde dieses ewige Organisieren und das Verweilen hinter den Kulissen immer realer. Skizzen wurden quasi zu Gemälden. Die Theorie war so unwirklich nah dran, sich in wenigen Tagen in die wahrhaftige Realität zu verwandeln. Es war das erste Mal, dass ich Teil von etwas derartigem war. Eine gänzlich neue Erfahrung. Ich war aufgeregt und gespannt. Freute mich auf das Festival und gleichzeitig auch auf den Tag, an dem das alles endlich vorbei sein wird. Nicht, weil es keinen Spaß gemacht hatte, sondern weil es doch recht aufwendig war, viel Zeit in Anspruch genommen hatte, und wie alles im Leben ein Ende finden musste.
Dann war es soweit
Am Tag der Eröffnung fühlte ich mich einfach nur fehl am Platz, wusste nicht richtig, wie ich mich verhalten sollte, was ich machen sollte, denn alles lief irgendwie von selbst. Ich hatte meine Aufgaben erst in den kommenden Tagen. Aber sie war ein voller Erfolg, die Eröffnung. Der Saal war voll, das Video des Regisseurs ein Highlight. Ich ging somit zufrieden nach Hause. Es hatte begonnen. Noch 4 aufregende Tage lagen vor mir.
Tag 2 war für mich sehr viel aufregender, denn ich musste unsere Kooperationspartner begrüßen und dem Publikum vorstellen. Tja, ich und vor Leuten sprechen funktioniert immer nur bedingt. Da wehrt sich mein introvertiertes Ich vehement dagegen. Aber ich habe es natürlich überlebt, und im Nachhinein betrachtet verlieren die Aufregung und der innere Kampf deutlich an Relevanz. Immer das gleiche Spiel.
So ging es dann dahin, ich will euch nicht mit Einzelheiten langweilen, und ein zu detailliertes Aufschreiben ist auch für mich und diesen Bericht nicht von Bedeutung, denn das wesentliche dieser Tage hat sich im Gedächtnis fest verankert. Das haben neue Erfahrungen so an sich, sie bleiben für immer im Gedächtnis. Kurz zusammengefasst: Es gab Filme, die aufgewühlt haben, Filme, die durch anschließende Improvisationstheaterstücke aufgewertet wurden. Und es gab Gäste, die vom Publikum mit Fragen regelrecht gelöchert wurden, weil sie mit Dingen fertig wurden, die man sich als normal funktionierender Mensch nur schwer vorstellen kann. Jeder Tag erzählte eine völlig andere Geschichte, jeder Gast war ein Unikat und jeder Film lud in eine andere Welt ein.
So geht es mir danach
Es war schön, es war erfolgreich, gut besucht, geschätzt und es was anstrengend, beängstigend, ewig lang und gleichzeitig so kurz. Es was alles in einem. Es war eine der besten und intensivsten Erfahrungen meines Lebens, und ich bin unheimlich froh, sie gemacht zu haben, und niemals gesagt zu haben, ich kann das nicht, oder ich habe die Zeit nicht. Ich habe es geschafft und das neben einem Kleinkind, neben dem Fernstudium und der Teilzeitarbeit.
Es gab natürlich auch Unstimmigkeiten im Team und bei der Organisation. Es lief nicht immer alles rund, technisch, gestalterisch und zwischenmenschlich, was teilweise auch sehr im Vordergrund stand, und zeitweise sehr an mir nagte. Doch am Ende des Tages überwiegt das Positive und zwar so deutlich, dass alles andere nicht mal mehr der Rede wert ist. Es gehört alles dazu, denn es ist ein (Lern)Prozess. Man lernt auch nie aus, und Erfahrungen machen uns weiser und großartiger. Ich für meinen Teil bin an dieser Aufgabe so sehr gewachsen, wie selten in meinem Leben.
Und nächstes Jahr? Wird das zweite Human Vision film festival definitiv stattfinden. Mit mir oder ohne mich, mit selben oder ganz anderen Aufgaben. Das alles steht noch nicht fest. Jetzt ist erst mal Pause.