Musik ist gut, um die Stimmen im Kopf zu übertönen, um Gefühle, die man nicht haben will, schlicht und einfach zu zerquetschen, bis für einen Augenblick nichts übrig bleibt vom konkreten Lebensmoment, in dem man feststeckt. Besonders gut geht das mit tosender, dramatischer, mit Emotionen überschäumender Musik, die gar keinen Platz mehr lässt für eigene Emotionen, weil einfach alles weggeräumt wird, was im Weg rumsteht – um dann vielleicht ein bisschen Hoffnung dazulassen.
Momentan brauche ich öfter mal Musik. Und das Wonder-Woman-Theme ist ein Geschenk des Filmhimmels. Es war (zusammen mit Gal Gadot) bereits das beste, dynamischste, ja, lebendigste Element in Batman v Superman: Dawn of Justice und kommt in Wonder Woman zur vollen Entfaltung, als auch Wonder Woman selbst es tut, indem sie Mitgefühl, Kraft und Willen beweist, wo andere längst aufgegeben haben. Und es steigert sich auch im Laufe des Films, bis Diana ihre volle Kraft erreicht. Gal Gadots Wonder Woman wird noch eine Ikone werden (so was geht ja nicht von heute auf morgen) und Hans Zimmer hat zusammen mit Junkie XL tatsächlich ein Arrangement entwickelt, das ihr gerecht wird, ihrer unwiderstehlichen Charakter- und Muskelstärke, die sie wie eine Kanonenkugel durch die Luft katapultiert, wie ihrer zarten Geschmeidigkeit und ihrer zielgerichteten, detailgenauen (daher auch in Zeitlupe) statt berserkerhaften Durchsetzungsfähigkeit. Es ist heroisch ohne plump pathetisch zu sein, weil es nicht in Streicherschwulst ersäuft, sondern pointiert die Gewalt betrommelt, die Gebäude einstürzen lassen kann, und ihren Idealismus mit einem simplen, klaren E-Cello-Muster darüberlegt. Es trägt die Handschrift eines stets majestätisch, tief, aber auch nervenzerrend herumwalzenden Hans-Zimmer-Scores, aber zusammengehalten von einer elektronischen Feingliedrigkeit, die eigentlich zu modern ist für eine sehr, sehr (hundert, tausend Jahre?) alte Amazonen-Kriegerin. Aber gerade dadurch wird sie in der heutigen Zeit verankert. Sie ist die Superheldin, die wir heute brauchen, und ihre Musik macht diese Dringlichkeit in Mark und Bein spürbar. Und ich liebe es einfach, wenn sich Musik so auftürmt und die Instrumente sich schrittweise zu einer gewaltigen Stimme vereinen, bis alles wegbrechen kann und hinterher nur noch ein Instrument nackt und klar die Stimme tragen muss, am besten Trommeln, so ähnlich wie in „Action Reaction“.
Aber es geht auch ganz anders. Wonder Woman kann vielleicht Götter besiegen, aber wenn Jean Grey ihr inneres Feuervögelchen frei lässt, sieht selbst die stärkste Frau der Welt alt aus. Denn ihre Kraft ist eine ganz andere und damit auch ihre Musik, die sie entfesselt. Jean Grey ist verschlossen und zierlich. Sie kann zwar nicht zuschlagen, aber mit einem Wink des Geistes Kugeln abwehren, und wenn sie sauer wird, ist hinterher alles kaputt. Ich habe ja schon hin und wieder erwähnt, wie sehr ich ihren großen Jean-ex-machina-Auftritt in X-Men: Apocalypse verehre. Und das liegt auch an der Musik (obwohl ich John Ottmans Filmmusik generell eher gesichtslos finde). Die Streicher blühen auf. Jean betritt in ihrem praktischen Kampfoutfit, das ihre zarte Erscheinung fast verschluckt, die Bühne von Charles‘ Geistespalast. Die Musik wird leiser im Erstaunen ihrer Anwesenheit, die bereits von ungeahnten Fähigkeiten spricht, denn wer kann sich schon einfach so in den Kopf anderer Leute projizieren? Sie läuft auf Apocalypse zu, langsam, zögerlich, aber entschlossen. Es ist ein überraschend ruhiger Augenblick in diesem Film, in dem ganze Städte zermalmt werden. Es ist ein konzentrierter Moment des Einfühlungsvermögens, der durch Jeans Ruhe, die selbst Apocalypses Wüten verstummen lässt, betont wird. Sie läuft und läuft und dann ist plötzlich kein Boden mehr unter ihren Füßen und sie läuft trotzdem weiter. Und die Musik staunt und bejubelt diesen kleinen überraschenden Twist, der bereits alles über Jeans Kraft sagt, mit einem freudigen Streicherzwirbeln, das nach den langen Tönen darauf hinweist: Obacht, jetzt kommt was. Und dann explodiert Jeans Feuerphönix und mit ihm die Musik, die in doofem pathetischen Tröten und Schwülsten ausklingt, das sich in jedem Moment selbst übertreffen soll. Aber die zwei Minuten davor, die sind perfekt, ganz anders als Wonder Womans Musikgewitter, weil ihre Kraft ja auch still im Inneren schlummert, während Wonder Womans Stärke schon durch das Gladiatorenoutfit ein sichtbares Statement ist. (Leider entspricht die separat erhältliche Aufnahme nicht ganz der, die im Film gespielt wird, fällt mir jetzt auf. Ist das normal?)
Kraft kann eben von ganz unterschiedlichen Orten kommen und variable Erscheinungen annehmen. Was beide Superheldinnen und Scores aber ganz wunderbar, ohne Klischee und mit großem Staunen vermitteln, ist, was passieren kann, wenn man beginnt, den eigenen Fähigkeiten zu vertrauen. Das gibt mir zwar nicht die Gewissheit, dass ich alles schaffen kann, wenn ich nur daran glaube, aber es füllt mich, und wenn nur für zwei Minuten und ein wenig darüber hinaus, mit einer Kraft als Ersatz für meine eigene, die mir fehlt. Und wenn man es in Dauerschleife hört, dann kommt man so schon irgendwie durch den Tag.
2 comments
Mal ganz fernab von der Jean Grey Melodie, die du hier anbietest, ist die Figur (neben Wolverine natürlich) meine liebste im X-Men Kosmos. Von daher vollste Zustimmung. 🙂
🙂